Beinlängendifferenz

Eine Beinlängendifferenz hat weitreichende Auswirkungen auf die gesamte Körperstatik. Wenn die Beine unterschiedlich lang sind, kann sich eine Schiefstellung des Beckens und der Wirbelsäule entwickeln. Die damit entstehenden Fehlbelastungen können zu Rücken- und Nackenschmerzen führen und langfristig Bandscheibenvorfälle oder Arthrose begünstigen.

Ursache und Einordnung einer Beinlängendifferenz

Die Ursachen von Beinlängendifferenzen sind sehr unterschiedlich. Sie können aufgrund der Knochenstruktur, durch Schiefstand des Rückens oder muskulären Dysbalancen entstehen.

Um die Beinlänge exakt zu beurteilen, insbesondere auch um festzulegen, wann ein Beinlängenausgleich sinnvoll und nutzbringend ist, sollte die Untersuchung sehr sorgsam und ausführlich durchgeführt werden. Oft wird die Entscheidung aber ohne eine gesicherte Diagnostik nach „Daumenmaß“ vorgenommen. Wichtig ist festzustellen, ob die Beine tatsächlich unterschiedlich lang sind. Dann stellt sich die Frage nach der Form der Behandlung. Besonders wichtig ist dieser Test auch nach Hüftoperationen.

Wann ist es sinnvoll die Beinlänge bestimmen zu lassen?

  • Nach Hüftoperationen oder Gelenkersatz
  • Bei Rücken- und Nackenschmerzen
  • Bei Skoliosen oder Wirbelsäulenfehlhaltungen
  • Bei Hüft- und Leistenschmerzen
  • Bei einem Gefühl des schieflaufens
  • Vorbeugend zur Haltungskontrolle

Beinlängendifferenz - die 4 Kapitel:

Beinlängendifferenz Kapitel 1:
Kleine Unterschiede - große Wirkung 

Die Symptome und Beschwerden, die mit einer unterschiedlichen Beinlänge assoziiert werden sind vielfältig:

Rückenschmerzen, Nackenschmerzen, Hüft-, Knieschmerzen, Fußschmerzen, Muskelverspannungen im Bereich der Beine oder der Wirbelsäule, Kopfschmerzen, Kieferschmerzen, Fehlhaltungen des Oberkörpers und des Beckens, belastungsabhängige Schmerzen der Wirbelsäule oder der Beine bei längerem Stehen, Gehen oder Laufen. Schmerzen an den Sehnen und Muskeln der Hüfte, des Kniegelenkes, des Fußes und verschiedene andere.

Große Unterschiede (>2cm) können nachweislich zu einer Fehlhaltung der Wirbelsäule führen, erhebliche Beschwerden verursachen und werden in der Regel schon früh in der Kindheit entdeckt und behandelt. Bei Erwachsenen wird ab einer Beinlängendifferenz von > 3 cm in der Regel eine Operation empfohlen, bei Kindern im Wachstumsalter kann schon ab einem Unterschied von > 1 cm eine Behandlung z.B. der Wachstumsfugen indiziert sein. Bei geringen Unterschieden (< 2 cm) ist eine eindeutige Zuordnung oder eine direkte Verbindung zu bestimmten Schmerzen, insbesondere chronischen Rückenschmerzen, wissenschaftlich nicht erwiesen.

Geringe Beinlängendifferenzen sind nicht so offensichtlich und werden oft vom Patienten nicht wahrgenommen. Die Feststellung erfolgt dann zumeist erst im Rahmen einer Untersuchung aufgrund orthopädischer Probleme.

Es ist davon auszugehen dass sich in diesen Fällen die Beschwerden erst langsam über chronische Fehlbelastungen und sich daraus ergebende muskuläre Dysbalancen bemerkbar machen. Für die Untersuchung und Behandlung von Patienten mit Überlastungsschmerzen, rezidivierenden oder chronischen Beschwerden sind deshalb die geringen Beinlängenunterschiede möglicherweise von großer Bedeutung.

Die Methoden zur Feststellung einer gering unterschiedlichen Beinlänge sind unter Therapeuten und Ärzten äußerst variabel. Darüberhinaus bestehen verschiedene Begrifflichkeiten, die unterschiedliche Mess- bzw. Ausgangssituationen berücksichtigen (Z.B. anatomische oder reele Beinlängendifferenz, funktionelle Beinlängendifferenzen, variable Beinlängendifferenz).

Die Untersuchung kann von einem schnellen Blick auf das Becken bis zu einer differenzierten Untersuchung mit verschiedenen technischen Methoden, von Röntgen bis Kernspintomographie, variieren. Auch die Bewertung ist bei geringen Beinlängenunterschieden primär von der individuellen Ausbildung und Einschätzung des Behandlers abhängig. Die Interpretationen können dabei von „ das hat doch jeder“ bis „das muß unbedingt behandelt werden“ reichen.
Ebenso unterschiedlich und von der Spezialisierung des Untersuchers abhängig können die Therapievorschläge sein: Chirotherapie, spezielle Einlagen, Fersenerhöhung, Krankengymnastik, Dehnungstechniken, Training, Osteopathie oder Operation u.v.a..

Ohne weiteres kann der gleiche Mensch (oder Patient) dabei von verschiedenen Therapeuten ganz unterschiedliche Empfehlungen erhalten. Nach unseren Erfahrungen sogar so widersprüchlich, dass das kürzere Bein von einem Therapeut auf der einen und von einem anderen Therapeut auf der gegenüberliegende Seite festgestellt wurde. Andererseits können auch verschiedene Patienten, trotz unterschiedlicher Befunde und Beschwerden von einem Therapeut immer eine ähnliche Therapieempfehlung (z.B. ISG-Behandlung oder Osteopathie) erhalten.

Entscheidende Frage:
Worauf sollte bei einer unterschiedlichen Beinlänge geachtet werden?

Grundsätzlich sollte bei jedem Verdacht auf eine Beinlängendifferenz eine standardisierte Untersuchung erfolgen, die auch die relevanten biomechanischen Parameter misst. Eine Schätzung, Messung durch Brettchenunterlage, Beckenwaage oder nach Dauemmaß sind mit einem Messfehler von bis zu 2 cm verbunden und nicht mehr zu empfehlen. Bei einer Untersuchung sollte die Beinlänge und das Becken nicht nur im Liegen sondern auch im Stehen mit gestreckten Hüft- und Kniegelenken, im Gehen und im Einbeinstand geprüft werden. Oft ist eine Haltungsanalyse, gelegentlich eine Ultraschallvermessung der Beinlänge oder eine Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule zur Beurteilung einer Skoliose (hier können auch alte Röntgenbilder genutzt werden) nötig.

Eine gering unterschiedliche Beinlänge ist per se keine Krankheit oder Symptomatik, die unweigerlich zu einer Fehlbelastung oder Schmerzsymptomatik führen muss. Die individuelle Bedeutung der geringen Beinlängendifferenz ergibt sich, wie auch bei anderen Fehlhaltungen, erst im Zusammenhang bzw. in der Auswirkung auf die umgebenden Strukturen. Die vorrangig zu klärende Frage bei geringen Beinlängendifferenzen ist deshalb die der Auswirkung der Seitendifferenz auf die Körperstatik. Entsteht eine ungünstige Beckenhaltung? Verändert sich der Horizontalstand des Kreuzbeinplateaus? Entsteht eine Skoliose? Sind unterschiedliche Belastungen der Hüftgelenke, der Muskeln und Sehnen feststellbar? Besteht eine Auswirkung auf die Haltung der Wirbelsäule oder den Oberkörper? Sind die gegebenenfalls vorhandenen Beschwerden durch die geringe Beinlängendifferenz biomechanisch oder myofaszial erklärbar?

Nach unserer Erfahrung ist für die Entwicklung einer nachhaltigen Therapiestrategie die Beurteilung der Wirbelsäulenstatik, insbesondere die der Wirbelsäulenbasis, des Kreuzbeinplateaus, vorrangig. Entsteht durch die unterschiedliche Beinlänge eine Schiefstellung des Kreuzbein kann sich eine seitliche Ausbuchtung der Wirbelsäule (Skoliose) entwickeln. Dies führt zu einer asymmetrischen Belastung insbesondere der Bandscheiben und der kleinen unteren Wirbelgelenke. Ähnlich wie bei einer verstellten Spur am Auto ist davon ausgehend über die jahrelange Fehlbelastung eine einseitige und vorzeitige Abnutzung der Bandscheiben oder der Wirbelgelenke möglich.

Weitere Spätfolgen können muskuläre Dysbalancen oder ein Bandscheibenvorfall sein. Bei größeren Unterschieden kann die Fehlhaltung des Beckens zu einer Skoliose der Halswirbelsäule führen und Beschwerden im Nacken oder dem Kiefergelenk auslösen.

Fazit
Selbst kleinere Unterschiede der Beinlänge (1-2 cm) können langfristig zu bedeutsamen Abnutzungen und gravierenden Folgen führen. Es lohnt sich also auch bei kleineren Unterschieden eine genaue Untersuchung durchführen zu lassen. 

Beinlängendifferenz Kapitel 2: 
Was genau wird darunter verstanden?

Der Begriff der unterschiedlichen Beinlänge bzw. der Beinlängendifferenz wird in den verschiedenen medizinischen Fachbereichen unterschiedlich definiert und interpretiert.  Zur weiteren Differenzierung haben sich davon ausgehend verschiedene Subbezeichnungen entwickelt, eine allgemein in der Praxis anerkannte Strategie liegt jedoch nicht vor. Grundsätzlich muss berücksichtigt werden, dass die Beinlänge in der körperlichen Untersuchung nur anhand äußerlicher Landmarken beurteilt wird. Die tatsächliche anatomische Beinlänge kann so nicht bestimmt werden. 

Beinlängendifferenz (allgemeine):

In der Regel wird ein seitlicher Schiefstand des Beckens im Stehen oder ein unterschiedlicher Stand der Innenknöchel im Liegen als Beinlängendifferenz bezeichnet. Die Größe der Differenz wird dabei durch das Ausmessen äußerer Landmarken am Becken oder die Beckenwaage bestimmt:
Direkt: Gemessen wird im Liegen die Distanz zwischen Spina iliaca anterior superior und Innen-oder Außenknöchel, wobei die Messung am Kniegelenkspalt für Ober-und Unterschenkellänge unterteilt werden kann.
Indirekt: Die Messung erfolgt im Stehen durch Prüfung auf Beckengeradstand mit der Beckenwaage mit einer Brettchenunterlage von unterschiedlicher Dicke unter das verkürzte Bein.

Einschränkung: Dieser allgemeinen Beurteilung liegt die Annahme zu Grunde das Oberschenkel, Hüftkopf, Beckenschaufel mit Beckenkamm, Kreuzbein und die verbindenden Gelenke symmetrisch entwickelt sind. In eigenen Untersuchungen konnten wir aber nachweisen dass sich  nur in der Hälfte aller Fälle eine übereinstimmende Symmetrie findet. Äußere Messungen am Becken und Unterschenkel sind zudem mit einem Messfehler von bis zu 2 cm verbunden.

Reelle,  „echte“, knöcherne oder anatomische Beinlängendifferenz:

Dies bezeichnet den tatsächlich messbaren Längenunterschied des Ober-und Unterschenkels. Ursachen können unterschiedliches Wachstum des Ober- oder Unterschenkelknochens sein. Tatsächliche (anatomische) Beinlängendifferenzen können auch als Folge einer jugendlichen Wachstumsstörung, nach Unfall, Knochenbruch oder im Rahmen einer Arthrose entstehen.  Sie sind nur mit technischen Methoden (Ultraschall, Röntgen, Kernspin- oder Computertomographie) meßbar.

Funktionelle Beinlängendifferenz:

Dies bezeichnet einen Beckenschiefstand bei gleicher anatomischer Beinlänge.
Ursachen können Verwringungen, Verdrehungen oder Blockierungen des Beckens sein.  Auch einseitige Verkürzungen der Muskeln oder Sehnen, z.B. eine einseitige Hüftbeugung bei einer Hüftarthrose können einen Beckenschiefstand bewirken. Gelegentlich sind auch einseitige Fußgewölbestörungen (Plattfuß), Arthrosen an Hüfte, Knie oder Fuß für eine funktionelle Beinlängendifferenz verantwortlich.

Variable Beinlängendifferenz:

Bei dieser Definition wird die Länge der Beine anhand der Position der Innenknöchel im Liegen und die Veränderung dieser Positionierung im Aufsitzen in den Langsitz („Aufsitzversuch“) beurteilt.
Variabel deshalb, weil die Position der Innenknöchel sich beim Aufsetzen unterschiedlich verschieben kann und dann in der Sitzposition ein anderes Verhältnis (ein Innenknöchel weiter unten oder oben) möglich ist.

Einschränkung: Da dieser Test jedoch zu einem wesentlichen Teil von der Liegeposition des Beckens zu Beginn der Untersuchung, der Beweglichkeit des Becken und der unteren Lendenwirbelsäule abhängig ist, liefert er keine sicheren Aussagen. Im Gegenteil, dieser Test wird oft genutzt, um scheinbare Verbesserung der Beinlänge nach einer Behandlung zu beweisen, eine tatsächliche Veränderung der anatomischen Beinlänge ist aber natürlich nicht möglich.
Seine Berechtigung hat der Test in der manual-medizinischen Überprüfung der Becken- und Hüftbeweglichkeit und zur unterstützenden Diagnostik bei Blockierungen des Becken oder unteren Lendenwirbelsäule. 

Funktionell wirksame Beinlängendifferenz (FBLD)

In unserer Praxis hat sich der Begriff der funktionell wirksamen Beinlängendifferenz bewährt. Im Vordergrund steht hier die biomechanische Auswirkung einer unterschiedlichen Beinlänge oder Beckenasymmetrie auf das Kreuzbein und die Wirbelsäule. Denn nur wenn die unterschiedliche Beinlänge zu einer relevanten Fehlstellung (Skoliose oder Rotation) führt sollte eine Behandlung geringer Beinlängendifferenzen erfolgen. Für die Beurteilung der funktionell wirksamen Beinlängendifferenz ist deshalb primär die Stellung des Kreuzbeines oder der unteren Lendenwirbelsäule (5. Lendenwirbel) bedeutsam. Bei einem Schiefstand kann eine seitliche Verbiegung der Wirbelsäule zur Seite des kürzeren Beines, (Fachbegriff Skoliose) entstehen.
Im Gegensatz dazu steht die Beinlängendifferenz ohne funktionelle Auswirkung, hier ist das Kreuzbeinplateau horizontal und es entsteht keine seitliche Verbiegung der Wirbelsäule. Damit auch keine asymmetrische Belastungen. Ein Höhenausgleich des kürzeren Beines würde in dieser Situation eine Verschlechterung der Haltung bewirken und sollte deshalb in der Regel nicht durchgeführt werden.

Fazit
Die Diagnose einer unterschiedlichen Beinlänge kann sehr unterschiedlich Situationen beschreiben. Bei einer Behandlung sollte primär die Auswirkung auf die Wirbelsäule berücksichtigt werden.

Quellen: Wirth/Mutschler-Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie, Niethard/Pfeil-Orthopädie-Duale Reihe, Breusch/Mau/Sabo-Klinikleitfaden Orthopädie

Beinlängendifferenz Kapitel 3: 
Auswirkungen im Alltag

Nicht immer muss eine Beinlängendifferenz von außen sichtbar sein. In einigen Fällen kompensiert unser Körper durch Ausweichhaltungen oder gegenläufige anatomische Bewegungen diesen Unterschied. Sichtbar kann eine unterschiedliche Beinlänge aber zum Beispiel durch eine Schiefstellung des Beckens oder einer seitlichen Fehlhaltung des Oberkörpers im Stand werden.

In der Bewegung ist häufig ein „Hinken“ (asymmetrisches Gangbild) oder eine einseitige Ausgleichbewegungen des Oberkörpers zu erkennen.

Die unterschiedliche Beinlänge entsteht meist in der Wachstumsphase. In dieser Phase bemerkt die betroffene Person die Wachstumsstörung in der Regel nicht, da sich der Körper „daran gewöhnt“ und anpasst. Der Zustand wird als „normal“ empfunden. Meist ist es das Umfeld, dem auffällt, dass die betroffene Person leicht hinkt  oder mit dem Körpergewicht zu einer Seite ausweicht. Typische Aussagen sind  „Du gehst schief“ oder „Du gehst irgendwie komisch“.

Ein weiteres Beispiel sind Schmerzen an der Hüftaußenseite. Diese werden häufig mit einer Schleimbeutelentzündung verwechselt. Dabei handelt es sich vielmehr um eine Entzündung des Sehnenansatzes am großen Rollhügel des Oberschenkelhalses. Vergleichbar wie bei einem Tennisellenbogen, kann sich hier durch die unterschiedliche Belastung der Sehnen eine Reizung am Ansatz der hüftstabilisierenden Muskulatur (Abduktoren) am außenseitigen Oberschenkel entwickeln.

Die Folgen einer Beinlängendifferenz können sich auf alle Körperbereiche von Fuß- bis Kiefergelenk auswirken. Selbst wenn zwei Personen die gleiche Beinlängendifferenz haben, kann sich dieser Unterschied in völlig anderen Symptomen bemerkbar machen.
Wiederkehrende Blockierungen des Beckens oder des Iliosacralgelenkes sowie Verspannungen der tiefen Gesäßmuskulatur können auf einen behandlungsbedürftigen Unterschied der Beinlänge hinweisen. Ebenso sollte bei Rückenschmerzen im Stand oder beim Gehen verstärkt an eine unterschiedliche Beinlänge gedacht werden. Langfristig können muskuläre Dysbalancen, chronische Beschwerden der Gelenke oder einseitige Gelenkabnutzungen (Arthrose) sowie Bandscheibenveränderungen- oder vorfälle entstehen. Daher ist es wichtig, frühzeitig abzuklären, ob eine Beinlängendifferenz die Ursache ist und wie diese dann am sinnvollsten behandelt werden kann.

Fazit:
Neben sichtbaren Veränderungen der Körperhaltung oder des Ganges, können auch unspezifische Beschwerden an Wirbelsäule, Nacken, Kiefer, Becken, Knie, Sehnen, Bein oder Fuß Symptome für eine unterschiedliche Beinlänge sein. Besonders bei einseitigen Abnutzungen im Gelenk (Arthrose) sollte geprüft werden, ob eine Beinlängendifferenz besteht.

Beinlängendifferenz Kapitel 4: 
Richtig messen macht den Unterschied

Je nachdem wer Sie als Patient untersucht (Arzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut) und welche zusätzliche Ausbildung der Untersucher hat, werden unterschiedliche Methoden zur Überprüfung der Beinlänge herangezogen. In der Regel erfolgt die Messung durch verschiedene Tests im Rahmen der körperlichen Untersuchung, oft aber leider auch nur nach „Daumenmaß“.

Zusätzlich zu der Untersuchung im Stehen kann auch die Länge der Beine anhand der Position der Innenknöchel im Liegen und die Veränderung dieser Position beim "Aufsitzversuch" beurteilt werden.

Bei einer äußerlichen Messung der Beinlänge wird z.B. der Abstand vom Außenknöchel am Fuß bis zum seitlichen Beckenkamm oder dem großen Rollhügel , einem knöchernen Vorsprung außenseitig am Hüftgelenk, gemessen. Studien haben jedoch nachgewiesen dass diese äußere Messung mit einem Maßband anhand anatomischer Landmarken doch mit einer erheblichen Varianz und einem Messfehler von bis zu 2 cm verbunden ist. Auch die Messung über die „Beckenwaage“ ergibt nur einen Anhaltspunkt und ist mit einer größeren Varianz versehen. Bei nicht symmetrischer Entwicklung der anatomischen Strukturen, z.B. einem unterschiedlich großen seitlichen Beckenknochen kann eine unterschiedliche Beinlänge nur vorgetäuscht werden.

In einer eigenen Studie konnten wir nachweisen dass nur in der Hälfte der Fälle der äußere Eindruck mit den zu erwartenden Auswirkungen im Bereich der Wirbelsäule oder des Beckens einherging.

In einigen Fällen fand sich bei genauer Untersuchung sogar ein gegenteiliger Befund. Hätte man sich hier auf den äußerlichen Eindruck verlassen wäre das längere Bein durch die Einlage weiter erhöht worden. Dass diese Behandlung dann nicht vertragen wird wundert also nicht.
Äußere Messmethoden lassen somit nur einen ungefähren Rückschluss auf die tatsächliche Beinlänge zu untere sollten immer kontrolliert, gegebenenfalls auch mit einem Röntgenbild verglichen werden.

Die tatsächliche (knöcherne oder anatomische) Beinlänge kann nur mit radiologischen Methoden (Röntgen, Kernspin- oder Computertomografie) genau ausgemessen werden. Sie bemisst sich vom höchsten Teil des Oberschenkelkopfes bis zum Unterrand des großen Unterschenkelknochens (Tibia). In unserer Praxis im Labor für Bewegungs- und Funktionsdiagnostik ist auch die strahlenfreie Ultraschall Beinlängenmessung möglich.

In der alltäglichen Praxis sollte zunächst überlegt werden zu welchem Zweck die Untersuchung durchgeführt werden soll. Meistens stehen die Auswirkungen einer unterschiedlichen Beinlänge, wie Schmerzen oder Fehlhaltung im Vordergrund. Nur selten, bei einem unterschiedlichen Beinlängenwachstum Jugendlicher, nach einem Unfall  oder vor bzw. nach einer Knie- oder Hüftoperation ist die anatomische Beinlänge relevant.

Aus ärztlicher Sicht ist die Auswirkung der unterschiedlichen Beinlänge auf den Beckenstand, das Hüftgelenk und die Ausrichtung der Lendenwirbelsäule von vorrangiger Bedeutung. Hierfür müssen neben der eigentlichen Beinlänge auch die Beinachse, die Füße und vor allem Oberkörper- und Kopfhaltung gemessen werden. Bei auffälligen Auswirkungen und Fehlhaltungen bezeichnen wir diese Seitendifferenz als funktionell wirksame Beinlängendifferenz (FBLD). Da die Ergebnisse der äußeren, manuellen Untersuchung erheblich variieren können ist eine genaue Überprüfung der Beinlänge und ihrer Auswirkung nur mit ergänzenden technischen Untersuchungen möglich. Damit alle Strukturen ausreichend beurteilt werden können, andererseits aber Strahlenbelastungen wie sie z.B. im Röntgen auftreten, nicht unnötig entstehen, empfiehlt es sich verschiedene Untersuchungsmethoden zu kombinieren.

Voraussetzung für jede technische Untersuchung sollte immer die ausführliche ärztliche Untersuchung der Körperhaltung im Stehen, Gehen und Liegen sein. Zusätzlich ist eine gezielte Prüfung der beteiligten Gelenke (u.a. Hüfte, Knie, Fuß) erforderlich. Bereits hier kann der erfahrene Untersucher mit speziellen Tests herausfinden, inwieweit aufgrund der unterschiedlichen Beinlänge Ausweichmuster oder muskuläre Dysbalancen entstanden sind. Aber auch eine Arthrose des Hüft-, Knie- oder Sprunggelenkes kann eine unterschiedliche Beinlänge hervorrufen und so festgestellt werden.

Bei Verdacht auf eine relevante, (d.h. > 1 cm) unterschiedliche Beinlänge, sollte dann zunächst entweder eine strahlenfreier 4D-Haltungsuntersuchung oder eine Röntgenuntersuchung unter standardisierten Bedingungen im Stehen erfolgen.

Für die exakte Beurteilung der Auswirkung der unterschiedlichen Beinlänge ist eine spezielle Röntgenuntersuchung des Beckens in einer bestimmten Fuß- und Beinposition im Stehen erforderlich. Sollte der Verdacht einer Wirbelsäulenverdrehung (Skoliose) bestehen, ist es zusätzlich eine Röntgenuntersuchung der Wirbelsäule im Stehen möglich. Alternativ kann, insbesondere bei Kindern, zunächst eine Ultraschallmessung der Beinlänge erfolgen.

WICHTIG: Auf den im Stehen durchgeführten Röntgenbildern kann, wenn auf eine exakte Position und Ausrichtung der Beine während der Aufnahme geachtet wurde, die Auswirkung der Beinlänge auf den Beckenstand und die Beckenknochen selbst beurteilt werden. Röntgenaufnahmen im Liegen können in dieser Hinsicht nicht ausgewertet werden!

Erst in der Betrachtung aller Untersuchungsergebnisse, dem fachkundigen äußeren Untersuchungsbefund des Becken und der Körperstatik, eine äußerliche Wirbelsäulenhaltungs- und Körperschwerpunktvermessung, ggf. auch um eine Ultraschall- oder Röntgenuntersuchung kann entschieden werden, welche Bedeutung Beinlänge und Beckenstand haben und ob ein Ausgleich z.B. durch eine Einlage erforderlich ist oder lieber unterbleiben sollte. Bei dementsprechend korrekt durchgeführter Untersuchung kann es dann auch durchaus sinnvoll sein, schon kleinere Unterschiede (zwischen 5mm und 10mm) mit einer haltungskorrigierenden Einlage zu verbessern, um einseitige Überbelastungen der kleinen Wirbelgelenke und Bandscheiben zu reduzieren bzw. ganz zu vermeiden.

Nicht selten berichten uns Patienten, dass bereits eine unterschiedliche Beinlänge festgestellt wurde, ein Ausgleich jedoch nicht vertragen wurde. Die Untersuchung zeigt dann oft, dass anhand der äußeren Untersuchung ein falsches Bild entstand und so retrospektiv nachvollziehbar der Ausgleich nicht vertragen wurde.

In unserer Praxis hat sich das folgende Vorgehen bei einem Verdacht auf unterschiedliche Beinlänge bewährt:

  • Ausführliche körperliche Untersuchung der Wirbelsäule, Körperhaltung, Beweglichkeit im Stand und Gang. Untersuchung der Hüft-, Knie und Sprunggelenke sowie der Füße im Seitenvergleich. Überblickender Check der Kiefergelenke. Manualtherapeutische Untersuchung der Iliosakralgelenke. Muskel- und Bändertest des Ober- und Unterschenkel.
  • Bei unauffälligem Befund zunächst strahlenfreie und ungefährliche 4D-Haltungsuntersuchung. Sollten sich hier Auswirkungen einer unterschiedlichen Beinlänge auf Becken, Oberkörper, Arme oder Nacken darstellen kann eine ebenfalls strahlenfreie Ultraschallvermessung der Beinlänge erfolgen.
  • Bei auffälligen Befunden in der körperlichen Untersuchung ist ggf. erst eine weitere spezifische Diagnostik erforderlich. Bei Arthrose der Gelenke empfiehlt sich nach der Ultraschalldiagnostik zumeist auch eine, am besten digitale, Röntgenuntersuchung. Diese sollte unbedingt im Stehen erfolgen um gleichzeitig die Beinstatik zu beurteilen.
  • Besprechung der Untersuchungsergebnisse zwischen Arzt und Patient. Hier wird gemeinsam festgelegt ob und welche Therapie erfolgen soll. Werden Einlagen für den Sport benötigt? Sollten zusätzlich Fußgewölbeschwächen mit berücksichtigt werden? Ist zusätzlich Krankengymnastik erforderlich? Sollten bestimmte Muskeln gedehnt oder gekräftigt werden?

Fazit:
Bei Verdacht auf eine unterschiedliche Beinlänge sollte immer erst eine ausführliche Untersuchung durch einen erfahrenen Arzt erfolgen. Die grobe Einschätzung der Beinlänge anhand äußere Befunde oder nach Daumenmaß ist mit einer erheblichen Fehlerquote verbunden und nicht zu empfehlen. Für ein optimales Ergebnis und die bestmögliche individuelle Therapiestrategie hat sich die Kombination verschiedener Untersuchungsverfahren bewährt.

Terminanfrage Beinlängendifferenz

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