Game Changer: Schmerz-Sensibilisierung

Schmerzsensibilisierung

Liebe Leser,
je länger Schmerzen bestehen, desto mehr Veränderungen entwickeln sich auch im Rückenmark und zentralen Nervensystem. Das Verständnis dieser zentralen Sensibilisierung wird dadurch zum "Game-Changer" in der Behandlung chronischer Schmerzen und verändert unsere Behandlungen von Grund auf.
Ich habe ihn die neuen Forschungsergebnisse kurz zusammengefasst und wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen.

Schmerzsensibilisierung, medizinisch als Zentrale Sensibilisierung bezeichnet, ist ein komplexes neurobiologisches Phänomen, das in der Schmerzbehandlung und aktuellen Schmerzforschung von großer Bedeutung ist.
Dieses Konzept beschreibt die Veränderungen im zentralen Nervensystem, die dazu führen, dass Schmerzreize verstärkt wahrgenommen werden. Es ist ein Schlüsselmechanismus bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von chronischen Schmerzen. Umgangssprachlich könnte man auch von Schmerzallergie sprechen. Die Phänomene werden oft auch als Schmerzgedächtnis bezeichnet.

Ursachen

Zentrale Sensibilisierung entsteht durch eine Erhöhung der Schmerzempfindlichkeit im zentralen Nervensystem, insbesondere im Rückenmark und Gehirn. Dieser Prozess kann dazu führen, dass normale Schmerzreize als intensiver und schmerzhafter wahrgenommen werden, was zu anhaltenden Schmerzen und Überempfindlichkeit führt. Es hat weitreichende Auswirkungen auf die Lebensqualität von Betroffenen.

Vor der zentralen Sensibilisierung kann es zu peripherer Sensibilisierung kommen.
Das bedeutet, dass die Nervenenden in den Geweben empfindlicher auf Schmerzreize reagieren. Dies geschieht oft als Reaktion auf Entzündungen, Verletzungen oder chronische Reizungen. Bei einer frischen Verletzung ist es ganz normal, die Überempfindlichkeit soll dazu führen dass wir das Gewebe schonen damit die Heilung gut erfolgen kann. Manchmal bildet sich diese natürliche Hypersensibilität an der Verletzung nicht zurück. Wir sprechen dann von peripherer Sensibilisierung (das heißt nicht im Nervensystem, sondern an den Körperorganen).
Periphere Sensibilisierung ist dann ein Auslöser für die zentrale Sensibilisierung und trägt dazu bei, dass Schmerzreize verstärkt an das Rückenmark weitergeleitet werden.
Das Rückenmark spielt eine entscheidende Rolle bei der Verarbeitung und Modulation von Schmerzsignalen. Bei zentraler Sensibilisierung wird die Aktivität des Rückenmarks verstärkt, und es werden vermehrt Schmerzsignale an das Gehirn weitergeleitet. Dies führt dazu, dass Schmerzen intensiver wahrgenommen werden, selbst wenn die ursprünglichen Schmerzreize abgeklungen sind.

Besondere Bedeutung hat hierbei die „körpereigene Signalhemmung“. Es scheint dass diese nach manchen Verletzungen nicht mehr funktioniert, und so  störende Signale ungefiltert in Rückenmark und Gehirn weitergeleitet werden.
Ein einfaches Beispiel:

Normalerweise spüren wir den Druck unserer Kleider oder Schuhe im Alltag nicht. Trotzdem werden durch die Kleidung ständig tausende von Signalen über unsere Nerven ins Rückenmark und an unser zentrales Nervensystem weitergeleitet. Die körpereigene Hemmung führt normalerweise dann dazu, dass wir diese Signale ausblenden können, bzw. dass sie bereits im Rückenmark nicht weitergeleitet oder "gedämpft" werden.

Stellen Sie sich nur einmal vor, sie würden konstant den Druck ihres Strumpfes und eines festen Schuh spüren.
Dies würde extremen Stress verursachen und verständlicherweise wäre  das Ganze Nervensystem davon betroffen. Genau die fehlende Hemmung oder Dämpfung der Siganle ist ein wichtige Ursache der erhöhten Schmerzwahrnehmung.
Ganz normale Situationen können dann extreme Reizungen im Nervensystem auslösen.

Angst und Depression können die Folge sein
Bei chronischen Schmerzen, die durch zentrale Sensibilisierung verstärkt werden, treten in der Folge auch Veränderungen im Gehirn auf. Das Gehirn verarbeitet Schmerzreize intensiver und kann negative Emotionen verstärken. Zentrale Sensibilisierung kann somit zu psychischen Belastungen führen, einschließlich Angst, Depression und anderen psychischen Gesundheitsproblemen. 
Personen mit zentraler Sensibilisierung können eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Schmerzen und anderen Reizen aufweisen. Selbst sanfter Druck oder Berührungen werden oft als schmerzhaft empfunden. Diese Überempfindlichkeit erstreckt sich oft über den gesamten Körper und wird als "Allodynie" bezeichnet.

Diagnose und Behandlung

Die Diagnose von zentraler Sensibilisierung erfordert eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung. Es gibt jedoch keine spezifischen Labortests oder Bildgebungsverfahren, die zentraler Sensibilisierung eindeutig nachweisen können. Stattdessen basiert die Diagnose auf den klinischen Symptomen, Fragebögen und der Krankengeschichte der Patienten.
Die Behandlung von zentraler Sensibilisierung erfordert oft einen multidisziplinären Ansatz, da sie verschiedene Aspekte des Schmerzsyndroms berücksichtigt. Hier sind einige der wichtigsten Behandlungsoptionen:

  • Medikamente werden häufig zur Schmerzlinderung bei zentraler Sensibilisierung eingesetzt. Dazu gehören:
    Antidepressiva, die die Schmerzverarbeitung beeinflussen und auch zur Behandlung von Schmerzen eingesetzt werden.
    Antikonvulsiva, die Nervenübererregbarkeit reduzieren können.
    Analgetika, die Schmerzen direkt lindern.
  • Physiotherapie
    Die physiotherapeutische Behandlung konzentriert sich auf die Verbesserung der Beweglichkeit und die Schmerzlinderung durch gezielte Übungen und Techniken.
  • Psychotherapie
    Psychotherapeutische Ansätze, wie die kognitive Verhaltenstherapie, können dazu beitragen, Schmerzen und psychische Symptome zu bewältigen, indem sie Strategien zur Schmerzbewältigung und Stressreduktion vermitteln.
  • Lebensstiländerungen
    Änderungen im Lebensstil sind ein wichtiger Teil der Behandlung von zentraler Sensibilisierung. Dazu gehören regelmäßige Bewegung, Entspannungstechniken, Stressmanagement und eine ausgewogene Ernährung.
  • Traditionelle Heilverfahren

    Hier ist insbesondere die Traditionell chinesische Akupunktur, zu nennen

  •  

    Moderne Therapieansätze

    Neue Forschungsergebnisse zeigen erfolgversprechende Ergebnisse mit peripherer Stimulation, z.B. durch die hochenergetische Stoßwellentherapie oder dass hochenergetische Magnetfeld (Magnet Induktionstherapie). Besonders deutlich scheint die Wirkung bei chronischen Nackenbeschwerden und Migräne zu sein, da hier über die Behandlung des Trapezius auch direkt Hirnareale im Trigeminuskerne aktiviert werden können.

Insgesamt ist die zentrale Sensibilisierung ein komplexes Phänomen, das das Verständnis von Schmerzen und deren Behandlung maßgeblich beeinflusst. Es betont die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Herangehensweise und eines multidisziplinären Teams von Fachleuten, um Betroffenen wirksam zu helfen. Die Forschung zu diesem Thema ist kontinuierlich im Gange, da Wissenschaftler und Ärzte weiterhin Wege suchen, um die Auswirkungen der zentralen Sensibilisierung zu mildern und die Lebensqualität von Menschen mit chronischen Schmerzen zu verbessern.
Das Management von bereits bestehender zentraler Sensibilisierung erfordert deshalb einen umfassenden Ansatz, um die Schmerzen zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Dies sollte in keinem Therapieprogramm chronischer Beschwerden unberücksichtigt bleiben!

 

 

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